#beziehungsweise

 

Die ökumenisch verantwortete Kampagne „#beziehungsweise –jüdisch und christlich: näher als du denkst“ möchte dazu anregen, die enge Verbundenheit des Christentums mit dem Judentum wahrzunehmen. Auch und gerade im Blick auf die Feste wird die Verwurzelung des Christentums im Judentum deutlich. Mit dem Stichwort „beziehungsweise“ soll der Blick auf die aktuell gelebte jüdische Praxis in ihrer vielfältigen Ausprägung gelenkt werden. Die Kampagne ist ein Beitrag zum Festjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland.

Wir sind uns bewusst: Die Betonung der Nähe ist nur unter Wahrung der Würde der Differenz möglich. Deshalb halten wir es für unverzichtbar, die Bezugnahmen auf das Judentum in christlichen Kontexten auch kritisch zu hinterfragen, Vereinnahmungstendenzen zu erkennen und zu vermeiden.

Aktuell finden wir uns dabei in einer gesellschaftlichen Situation wieder, die durch ein Erstarken von Antisemitismus und weiterer Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geprägt ist. Übergriffe gegen jüdische Bürger*innen, Hetze und Verschwörungsmythen in den Sozialen Medien nehmen weiterhin zu.

In einer respektvollen Bezugnahme auf das Judentum, die zur positiven Auseinandersetzung mit der Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland anregt, will die Kampagne auch einen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus leisten.

 

Ritual für das Leben: Brit Milah beziehungsweise Taufe.

Brit Mila, die Beschneidung neugeborener Söhne, symbolisiert im Judentum den Bund mit Gott. Für die Mädchen bekräftigt die Feier der Namensgebung die Zugehörigkeit zum Bund. Im Christentum besiegelt die Taufe die Aufnahme in die Gemeinschaft mit Jesus Christus und der Kirche. Auf ewig verbunden!

 

 

Eine jüdische Stimme

„Und Gott sprach zu Abraham: Du aber sollst meinen Bund bewahren, du und deine Nachkommen nach dir, Generation um Generation. Dies ist mein Bund zwischen mir und euch und deinen Nachkommen nach dir, den ihr bewahren sollt: Alles, was männlich ist, muss bei euch beschnitten werden. Am Fleisch eurer Vorhaut müsst ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in allen euren Generationen (…). So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein. Ein Unbeschnittener, eine männliche Person, die am Fleisch ihrer Vorhaut nicht beschnitten ist, soll aus seinem Volk getilgt werden. Er hat meinen Bund gebrochen.“ (Gen 17, 9-14)

Die Beschneidung gehört zu den ersten Geboten, die in der Torah aufgeführt werden. Sie ist das körperliche Zeichen für den Bund, den Gott mit Israel geschlossen hat. Männliche Säuglinge werden an ihrem 8. Lebenstag beschnitten, auch wenn dieser auf einen Schabbat oder einen Feiertag fällt. Falls gesundheitliche Bedenken bestehen, weil das Baby krank oder schwach ist, wird die Beschneidung verschoben und zu einem günstigeren Zeitpunkt vorgenommen.

Die Pflicht, das Kind beschneiden zu lassen, obliegt laut der Halachah dem Vater, der aber den Vollzug dem Mohel, einem eigens dafür ausgebildeten Beschneider überträgt. Bei der Zeremonie holt der Kvatter oder die Kvatterin (Pate bzw. Patin) das Kind von der Mutter ab und trägt es in den Raum, wo die Beschneidung stattfindet. Dort wird es dem Vater übergeben, der es dem Sandak auf den Schoß legt. Das ist eine Person aus der Familie oder der Gemeinde, die damit beehrt wird, das Kind während der Beschneidung zu halten. Dazu sitzt er auf oder neben dem „Stuhl des Propheten Elias“, einem besonders dekorierten Stuhl oder Doppelsitzer, denn nach jüdischer Tradition kündet der Prophet Elias die Erlösung an, seine Gegenwart und sein Schutz werden in schwierigen Situationen angerufen. Der Mohel verliest einige Bibelverse, dann sagt der Vater den Segensspruch: „Hiermit bin ich bereit, das Gebot zu erfüllen, das mir der Heilige, gesegnet ist er, aufgegeben hat, nämlich meinen Sohn zu beschneiden.“ Der Mohel spricht den Segensspruch über den Vollzug der Beschneidung und nimmt diese vor. Dem Kind ist zuvor ein Tropfen süßer Wein verabreicht worden, den es vom Finger lutscht und dadurch abgelenkt ist. Dann sagt der Vater den Lobpreis dafür, dass Gott ihm geboten hat, seinen Sohn in den Bund Abrahams eintreten zu lassen. Die Anwesenden antworten darauf mit „Amen“ und wünschen dem Kind: „So wie er in den Bund eingeführt wurde, soll er auch zur Torah, zur Chuppah (Traubaldachin) und zu guten Werken herangeführt werden“. Auch Gott wird gepriesen, der den Bund schließt.

Anschließend folgt die Namensgebung: Der hebräische Name des Kindes mit Namen des Vaters oder der Eltern wird verkündet. Dann wird ein Segen über das Kind gesprochen. Mohel und Mutter versorgen das Kind, während sich die Gäste zu einer Festmahlzeit niederlassen. Beim Tischgebet werden der Vater bzw. die Eltern, der Sandak und der Mohel mit eigenen Segenswünschen geehrt. Im übrigen müssen sich auch Jungen und Männer, die zum Judentum übertreten, der Brit Milah unterziehen.

Und was ist mit Mädchen? Das körperliche Zeichen des Bundesschlusses bezieht sich ja ausschließlich auf Jungen. In Deutschland ist das Wort „Beschneidung“ immer wieder in Bezug auf Mädchen zu hören. Dem muss entschieden entgegengetreten werden: Bei den dabei gemeinten Praktiken handelt es sich um Genitalverstümmelung, für die es im Judentum keinen Platz gibt. Wenn aber das Bundeszeichen bei Mädchen nicht an ihrem Körper sichtbar gemacht wird, welche Formen gibt es dann, um ihre Aufnahme in den Bund zwischen Gott und Israel zu feiern?

In der Tat gibt es dafür traditionell keine Zeremonie mit Ausnahme der Namensgebung, die der Vater am Schabbat nach der Geburt in der Synagoge, aber in weit weniger festlichem Rahmen vornahm. In den letzten Jahrzehnten ist es aber üblich geworden, der Wertschätzung von Mädchen und Frauen sowie der großen Freude über Nachwuchs Ausdruck zu verleihen, indem auch die Töchter in einem eigenen festlichen Ritual in den Bund zwischen Gott und Israel eingeführt werden. Diese Zeremonie wird meist „Simchat Bat“ („Freude über die Tochter“) oder „Sewed HaBat“ („Geschenk der Tochter“) genannt. Sie hat noch nicht einen so klar vorgegebenen Zeitpunkt und Ablauf wie die Brit Milah, aber auch sie heißt die neue Erdenbürgerin freudig willkommen und feiert die Fortführung des Bundes in der nächsten Generation. Analog zur Beschneidung sagen die Eltern einen Segensspruch über das Gebot, ihre Tochter in den Bund Gottes mit Israel einzuführen. Und auch hier antworten die Anwesenden mit dem Wunsch: „Wie sie in den Bund eintrat, möge sie auch an die Torah, die Chuppah und an das Tun guter Werke herangeführt werden.“ Wenn die Feier in der Synagoge stattfindet, wird das Baby mitunter auf einen Tallit auf der Bimah, dem Lesetisch für die Torah, gelegt, dabei ist es umrahmt von Bonbons als Symbol für die Süße der Worte der Torah. Häufig werden auch Verse aus der Torah gelesen, zum Beispiel Deut 29, 9-14, die davon handeln, dass ganz Israel, Männer, Frauen und Kinder, gegenwärtige und zukünftige Generationen, in den Bundesschluss einbezogen sind. Oder auch Jer 31, 32: „Denn dies ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel schließe. Nach jenen Tagen, ist der Spruch des Ewigen, werde ich meine Torah in ihr Inneres legen und sie auf ihr Herz schreiben. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein.“ Das Kind und die Eltern werden gesegnet und mit guten Wünschen bedacht. Natürlich ist auch die Namensgebung und eine Festmahlzeit Bestandteil dieses neuen Rituals.

Das Ritual der Brit Milah ist immer wieder zum Gegenstand antijüdischer Polemik gemacht worden. Erst in jüngster Vergangenheit wurden in Deutschland Vorwürfe erhoben, die in der Beschneidung einen barbarischen Akt und eine Kindeswohlgefährdung sehen. Die daraufhin entfachte Debatte, deren Auslöser übrigens die Beschneidung eines muslimischen Kindes war, stellte das Recht eines Kindes auf körperliche Unverletztheit in den Vordergrund, dahinter habe die durch die Religionsfreiheit gedeckte Ausübung traditioneller Rituale zurückzustehen. Die Diskussion wurde mit deutlichen antisemitischen Obertönen geführt, die die Beschneidung jüdischer – und muslimischer – Kinder als Körperverletzung und religiöse Indoktrination darstellten. Für Juden ist die Brit Milah ein unveräußerlicher Teil jüdischen Selbstverständnisses, eine jahrtausendelang praktizierte Tradition, die als Gebot der Torah Ausdruck von Gottes Willen ist. Die Religionsfreiheit umfasst auch das elterliche Recht, das Kind beschneiden zu lassen, ein Verbot der Brit Milah würde jüdisches Leben in Deutschland als unerwünscht erklären. Der Bundestag verabschiedete danach im September 2012 ein Gesetz über die Beschneidung von Jungen, das Eltern ausdrücklich das Recht zuweist, eine Brit Milah vornehmen zu lassen. Bis zu einem Alter von sechs Monaten dürfen die von einer Religionsgemeinschaft dafür vorgesehenen und speziell ausgebildeten Beschneider diese Operation vornehmen, danach nur noch Mediziner in einer ärztlichen Praxis.

– Rabbinerin Dr.in Ulrike Offenberg

 

Eine christliche Stimme

Die Taufe steht am Anfang eines jeden christlichen Lebens. Sie begründet das Christsein. Sie schenkt Anteil am Leben Jesu Christi. Daher schreibt der Apostel Paulus, dass der Mensch in der Taufe mit Christus stirbt, mit ihm aber auch aufersteht und neues Leben gewinnt. (Röm 6,1-11) In der Taufe soll der alte Mensch sterben, derjenige Mensch, der von der Logik der Welt, von den Gesetzen der Selbstbehauptung und des Rechts des Stärkeren lebt. In der Taufe erklärt sich der Mensch bereit, aus dem Geist Christi, seiner Weisheit und Hingabe zu leben. Er nimmt das „leichte Joch“ von Jesu Lebenslehre auf sich. (Mt 11,29f) Daher gehört zur Taufe eine Absage gegenüber allem Bösen und ein Bekenntnis zur Lebensweise Jesu und zu seinem Gott. Zur Taufe gehört immer das Glaubensbekenntnis.

Christus will die Menschen zu Gott führen. Sie sollen in eine Tiefe Gemeinschaft mit ihm finden. Gott ist die Quelle und der Schöpfer allen Lebens. Daher führt die Taufe auch in einen Bund mit Gott. Der Mensch wird nicht nur auf den Namen Jesu getauft, sondern auf ihn und seinen Gott. Die Taufformel, die sich in den grossen Kirchen durchgesetzt hat, ist dem Matthäusevangelium entnommen. Dieses endet mit dem auferstanden Christus, der zu seinen Anhängern spricht: „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“ (Mt 28,19f). Die Taufe nimmt also in die Gemeinschaft hinein, die Christus mit Gott, seinem Vater hat. Der Heilige Geist ist das Band dieser Beziehung. Die Taufe führt in die Gemeinschaft des dreieinigen Gottes. Sie ist Initiation in das Mysterium des christlichen Monotheismus.

Die Gemeinschaft mit Gott spiegelt sich immer in der Gemeinschaft unter den Menschen. Sie führt in eine besondere Verbindung mit allen anderen Getauften. Daher fügt die Taufe auch in die Gemeinschaft der Kirche ein. Die Kirche ist Gemeinschaft aller, die aus der Logik der alten Welt herausgerufen sind, in besonderer Weise aus und für das Evangelium zu leben. Damit bilden die Getauften eine Gemeinschaft von Heiligen, wie es im Neuen Testament heisst. (z.B. Röm 1,7) Die Berufung zu einem Leben in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht ist eine Kurzformel des christlichen Lebens. (Lk 1,74f) Die Taufe ist im Grunde genommen etwas für erwachsene Menschen, die sich entschieden haben, als Christen zu leben, weil sie von der Frohbotschaft Jesu ergriffen worden sind.

Die Kirche tauft in unserer Gesellschaft jedoch viele Kinder. Wenn das Kleinkind nach der Geburt getauft wird, muss eine christliche Erziehung gewährleistet sein. Gott nimmt im Kleinkind den Menschen ohne Vorleistung an, doch später erwartet er eine Antwort darauf in einem christlichen Lebensstil. In der Firmung bzw. der Konfirmation sagt der junge, erwachsene Mensch dann sein eigenes Ja. Ähnlich gehören Beschneidung und Bar-Mitzwa bzw. Bat-Mitzwa im Judentum zusammen, wo die jungen Erwachsenen bewusst sich auf die Gebote verpflichten, die ein jüdisches, erwachsenes Leben prägen sollen, auch wenn sie seit Geburt jüdisch sind und auch wenn die Knaben am achten Tag beschnitten wurden.

Schon das jüdische Volk ist berufen ein heiliges und priesterliche Volk zu sein, als es aus der Sklaverei Ägyptens auszieht und die Weisung Gottes im Bund am Sinai übernimmt. (Ex 19,5f) Auch die Kirche versteht sich als pilgerndes Volk Gottes, als heiliges, königliches und priesterliches Volk. (1 Petr 2,9) Prophetisch, priesterlich und königlich sind Aufgaben, die jedem einzelnen Christen anvertraut sind, denn er lebt nicht für sich allein: Prophetisch hat er Andere zu lehren. Priesterlich hat er für Andere zu beten und fürbittend vor Gott zu treten. Königlich hat er die Welt im Geist Gottes zu regieren. Für all diese Aufgaben wird ihm bei der Taufe der Heilige Geist geschenkt. Bei der Taufe wird jeder und jede dazu mit heiligem Öl gesalbt und gestärkt.

Es ist bereits klar geworden: Der Taufbund steht in einer Analogie zum Bund der Beschneidung im Judentum. Wie der jüdische Knabe durch den Ritus der Beschneidung in den Bund Gottes eintritt, so der Nicht-Jude und die Nicht-Jüdin durch die Taufe ins Christentum. Die Taufe wird daher auch Beschneidung des Herzens genannt. (vgl. Röm 2,29) Für Juden ist Inhalt des Bundes die Tora, die Weisung Gottes, nach der es zu leben gilt. Für Christen ist der Inhalt des Bundes Jesus Christus, der die Weisung Gottes in einmaliger Weise gelebt hat; ihm gilt es im Leben nachzufolgen. Die imitatio Christi ist die spezifische Form der imitatio Dei, die auch im Zentrum jüdischer Spiritualität steht.

Jesus ist für Christen der Sohn Gottes und die zweite Person des dreieinigen Gottes. Er ist aber nicht nur ganz Gott, sondern auch ganz Mensch, unvermischt und ungetrennt. So hat das Konzil von Chalcedon 451 n. Chr. das paradoxe Geheimnis treffend formuliert und paradigmatisch die Verbindung von Gott und Mensch beschrieben. Als Mensch ist Christus Jesus Jude, denn in ihm ist das Wort Gottes Fleisch geworden. (Joh 1,18) Als Jude ist Jesus am achten Tag beschnitten worden und so in den Bund Gottes mit seinem Volk eingetreten. (Lk 2,21) Die Kirche hat über viele Jahrhunderte am 1. Januar die Beschneidung und die Namensgebung Jesu gefeiert. An die Stelle der Beschneidung ist im Christentum die Taufe als Zeichen für den neuen Bund getreten. Der Apostel Paulus, obwohl selbst beschnitten und dies auch von Juden fordert, die sich der messianischen Bewegung um Christus anschliessen, kämpft darum, dass die Heiden, die Christen werden, sich nicht beschneiden, sondern taufen lassen. Sein Brief an die Galater ist genau diesem Thema gewidmet.

Die Taufe steht nicht nur am Anfang des Christsein. Sie prägt jeden Christen und jede Christin bis ans Lebensende. Einmal getauft, für immer getauft. Eine Taufe kann weder ungeschehen gemacht werden, noch braucht sie wiederholt zu werden. Weder ein formeller Kirchenaustritt noch ein Übertritt in eine andere Konfessionskirche hat auf die Taufe eine Auswirkung. Wer sich in seinem Lebensstil von Christus abwendet, kann und sollte auch jederzeit umkehren. In der röm.-kath. Tradition steht dafür das Zeichen der Beichte. Schuld wird vergeben, Wunden werden geheilt und neu ins Leben Christi und seiner Gemeinschaft der Kirche integriert. Daher ist die Beichte der Taufe verwandt. Sie erneuert die Taufe und gliedert wieder neu in die Gemeinschaft der Getauften ein. Vor allem in der Liturgie der Osternacht, dem bevorzugten Zeitpunkt für Taufen, weil da Jesu Tod und Auferstehung unmittelbar gefeiert und vergegenwärtigt wird, wird auch das Taufbekenntnis immer wieder erneuert.

– P. Dr. Christian M. Rutishauser SJ

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